1. Allen von uns sind die malerischen Darstellungen des Himmels bekannt: die drei göttlichen Personen in der Gloriole und um sie herum Maria, die Engel und die Heiligen, die ihnen Anbetung und Lobpreis erweisen. Dieser himmlische Hofdienst, dieser Kult, diese Verehrung findet nun seine irdische Entsprechung in der heiligen Liturgie. Sie ist deshalb – wie Papst Pius XII. es so kurz und treffend ausdrückte – der öffentliche Kult, den einerseits unser Erlöser dem himmlischen Vater erweist und den, andererseits, die irdische Gemeinschaft der Christgläubigen ihrem Gründer und durch ihn dem ewigen Vater im Himmel darbringt. Die heilige Liturgie ist nicht identisch mit dem Gebetsleben der Christen oder der Kirche, sie ist vielmehr der feierliche Hofdienst, den die Kirche in Vereinigung mit dem ewigen Hohenpriester, Jesus Christus, dem himmlischen Vater erweist. Dazu verpflichtet sind die Kleriker, die diesen Hofdienst nach genau geregelten Formen vollziehen müssen. Aber auch das gesamte gläubige Volk sollte an diesem Hofdienst – wie es die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils ausdrückt – bewussten und tätigen Anteil nehmen (wobei darunter nach dem Willen der Konzilsväter sicher kein bloß äußerlicher Aktivismus verstanden werden darf).
2. Dieser feierliche und sinnenfällige Hofdienst des ganzen mystischen Leibes der Kirche besteht aus zwei Teilen, dem inneren und dem äußeren Kult. Innerer Kult sind die Akte der innerlichen, seelischen Anbetung und Verehrung Gottes, äußerer Kult hingegen jene der sinnenfälligen Anbetung und Verehrung Gottes durch heilige Worte und heilige Gesten, die dann aufgrund der Kirchlichkeit des Kultes auch eine Form der gemeinschaftlichen Anbetung und Verehrung werden muss. Beide Dimensionen des Kultes bilden in der Liturgie eine notwendige Einheit. Bloße Innerlichkeit der Gottesverehrung kann dem Menschen in seiner Leibhaftigkeit nicht genug sein, sie entspricht seiner eigenen Natur nicht. Aber auch nicht seiner Berufung zum Glied am mystischen Leib der Kirche, wo der getaufte Katholik ja zu einer sichtbaren Gemeinschaft in der Gottesverehrung berufen wurde. Eine nur innerliche und nur auf den Einzelnen bezogene Gottesverehrung würde sich verlieren in bestimmten selbstgewählten Nischen der Spiritualität, sie würde die Gemeinschaftlichkeit des katholischen Glaubens nicht mehr atmen, die alle Glieder der Kirche miteinander in der Wahrheit vereinen muss. Die innere Anbetung und Verehrung Gottes braucht also den äußeren Kult, der ihr die rechte Form und das rechte Gesetz gibt, sie so aber fördert und in der Wahrheit hält.
Wo aber demgegenüber die Gottesverehrung sich nur noch im äußeren Tun ausdrückt, wo ihr die innere Seele fehlt, da wird sie äußerliche, zeremonielle Geschäftigkeit, ohne jeden Wert vor Gott. Deshalb muss unser Ziel sein: das Ineinander von Gebetsworten und heiligen Gesten, das die sichtbare Liturgie der Kirche ausmacht, den heiligen Sinn des äußeren Kultes so gut kennenzulernen, uns immer wieder damit zu beschäftigen, immer wieder Neues darin zu entdecken, damit so dann auch unsere Seele dadurch befruchtet und in der rechten inneren Gottesverehrung geführt und bestärkt wird. Erst so können wir den Hofdienst zu Ehren des dreifaltigen Gottes auch würdig und authentisch vollziehen.
3. Manche von uns haben nun das Glück, die Sprache der katholischen Liturgie von Kindheit an kennengelernt zu haben. Gemeint ist hier nicht das intellektuelle Verstehen der Gebetsworte oder des Symbolgehalts der heiligen Riten, sondern die lebendige Verbundenheit damit. Die heilige Liturgie ist ihnen in so selbstverständlicher Übung wie ihre Muttersprache, sie kennen und lieben sie so selbstverständlich, ungekünstelt und innig, wie jeder von uns seine Muttersprache. Dieses lebendige Beheimatet-sein in der katholischen Liturgie, dass man sie also so gut kennt wie die eigene Muttersprache, kann man nicht in einem Kurs oder durch die Lektüre eines Buches schnell sich aneignen, sondern man muss durch lange Zeit und Übung diesen Hofdienst immer wieder selbst vollziehen, man muss sich nach und nach hineinschauen und hineinlieben in die heilige Liturgie, in ihre Symbole, in ihr Geheimnis, man muss durch viele, viele Jahresringe der geübten Teilnahme an der Liturgie den Rhythmus des Kirchenjahres in sein eigenes Leben als Zeitprägung langsam einsenken. Erst so entsteht die wahre, lebendige Beheimatung in der katholischen Liturgie, um die es als Ziel gehen muss.
Um nun zu dieser lebendigen Kontinuität zu gelangen, gibt es in unserer Rektoratskirche seit dem Jahr 1996 die Möglichkeit, an den Werktagen die hl. Messe in der überlieferten Form des Römischen Ritus mitfeiern zu können. Seit dem Jahr 2007, auf der Rechtsgrundlage des päpstlichen Motu proprio Summorum Pontificum, auch die Möglichkeit der Mitfeier der hl. Messe in der außerordentlichen Form an allen Sonn- und Feiertagen. Ohne unnötige und meist übertreibende Polemik für diese Form der Liturgie, ohne arroganten Lärm und ohne Aufsehen nach außen, geht es dabei einfach um die Feier der heiligen Geheimnisse in der klassischen Form der römischen Liturgie, in aller Andacht, Ehrfurcht und Würde, damit so das Leben der Gläubigen geheiligt werde. Also kein hohler Ritualismus, keine Sektenmentalität, sondern Dienst am Heil der Gläubigen.
4. Wir feiern die heilige Messe also im römischen Ritus. Er meint die genaue Regelung der öffentlichen, kirchlichen Gebete und Kulthandlungen, wie sie von der römischen Kirche und ihren Bischöfen, den römischen Päpsten, seit den Aposteltagen von Generation zu Generation weitergetragen und dabei nur vorsichtig und in den Randbereichen den verschiedenen Einflüssen und Zeiten angepasst wurde. Dieser römische Ritus ist nicht der einzige Ritus der Kirche, aber einer der ältesten und angesehensten der Kirche. Wir finden ihn schon beim Kirchenvater Hippolyt (3. Jhdt) in seinen wesentlichen Teilen. Er wurde seit Karl dem Großen der fast allgemeine Ritus des Abendlandes und stand in höchstem Ansehen. Das Konzil von Trient wollte die größtmögliche Einheitlichkeit in der Liturgie zum Schutz gegen das Auseinanderbrechen der Kirche im Glauben wiederherstellen und sichern. Auf dieser Grundlage hat dann Papst Pius V. eine Neuordnung des Römischen Messbuchs herausgegeben, das der ungeordneten Vielfalt, die eingerissen war, ein Ende setzen sollte. Dieses römische Messbuch hatte eine Erfolgsgeschichte, denn es bildete einen geeigneten Schutz der Einheit für die Kirche. Auch die nachfolgenden Päpste bis hin zum seligen Papst Johannes dem XXIII. haben nur geringfügige Änderungen im Ritual, neue Heiligenfeste oder andere Feste oder neue Präfationen zugefügt, bis dann schrittweise einige Jahre nach dem Zweiten Vatikanum erstmals in der Geschichte des römischen Ritus ein massiver Eingriff in das Ritual der Messe und der Sakramentenspendung mit päpstlicher Billigung zustande kam. Vielfältig sind die direkten und indirekten Ursachen dafür. Auch die Tatsache, dass diese Reformen weithin unbeeinsprucht angenommen und ausgeführt wurden, lässt die Frage zu, inwieweit das authentische liturgische Bewusstsein bei Klerus und Gläubigen vorhanden war oder ob diesem nicht leichtere “pastorale” Vermittelbarkeit einer Liturgie auf den Menschen hin vorgezogen wurde. Dennoch gab und gibt es Gläubige, auch Gemeinschaften, die diese Reform im Gewissen nicht mittragen konnten und wollten.
Erst Papst Johannes Paul II. und mehr noch Papst Benedikt XVI. haben deshalb den unreformierten Messritus in weiterem Ausmaß wieder zugelassen, ja mittlerweile wurden ihm die alten Rechte, die er eigentlich nie verloren hat, wieder offiziell zuerkannt.
5. “Alter” und “neuer” Messritus – wie stehen sie zueinander?
Warum die Wahl der unreformierten Form des römischen Ritus? Warum die lateinische Messe, wo doch nach dem Konzil die Liturgie umfassend reformiert wurde?
Zwei Extrempositionen entsprechen nicht der vollen Wahrheit, weil sie theologisch mangelhaft sind:
a) Jene, die man als Position der Diskontinuität zwischen beiden Riten bezeichnen kann. Das Verhältnis wird als Gegensatz oder Bruch zwischen alt und neu beschrieben. Einmal von jenen, die den erneuerten Messritus als häretisch oder zumindest häresiebegünstigend bezeichnen, dabei aber nicht klar zwischen geltenden liturgischen Normen und den tatsächlichen Abirrungen davon in der Praxis unterscheiden. Dann aber muss man auch jene zu dieser Position der Diskontinuität zählen, die den unreformierten Messritus als Ausdruck einer veralteten Ekklesiologie oder als im Widerspruch zum “Geist” des Zweiten Vatikanums grundsätzlich ablehnen und damit indirekt diesem Konzil unterstellen, es hätte einen radikalen Neuanfang in der Liturgie anstelle einer homogenen oder evolutiven Kontinuität gewollt. Gegen diese Position der Diskontinuität fasst das päpstliche Motu proprio Summorum Pontificum das Verhältnis der beiden Riten als Verhältnis von zwei grundsätzlich gleichberechtigten und doch verschiedenen Formen des einen und selben römischen Ritus. Diese Positionsbestimmung setzt also, wie gesagt, eine Hermeneutik der evolutiven Kontinuität zwischen beiden Formen wie überhaupt in der Einschätzung des Zweiten Vatikanums voraus.
b) Die zweite Extremposition kann man als relativistisch bezeichnen. Wenn die zweifellos vorhandenen Unterschiede beider Riten in der sichtbaren Dimension und in den lehrhaften Grundlagen wahrheitswidrig relativiert oder überhaupt negiert werden. Dann wäre auch die Wahl des Vorzugs für die außerordentliche Form des römischen Ritus letztlich nicht mehr begründbar oder legitim, weil ja beide Formen unterschiedslos gleich-gültig wären. Also, warum dann noch auf die Wahl der unreformierten Form bestehen? Schon die Schwere der Eingriffe in die Ritusgestalt als auch die praktisch fast universal wahrnehmbare Minderung im authentisch katholischen Messopferglauben und in der Messopferfrömmigkeit im Bereich der liturgischen Praxis lassen von einer relativistischen Sicht Abstand nehmen. Auch wenn der reformierte Messritus an sich, sofern er also entsprechend der liturgischen Normen vollzogen wird, keinen substantiellen Bruch im Sinn einer “neuen” Messe darstellt, so finden sich doch akzidentielle Mängel und Einseitigkeiten. Die konkrete Festlegung eines Messritus ist ja schließlich, abgesehen vom wesentlichen Kern, auch kein unfehlbares Dogma. Die liturgische Praxis, die sich in Eigendynamik großteils jenseits der offiziellen Normen vollzogen hat und vollzieht, hat dann noch ein Übriges zur Verfremdung des voll katholischen Wesens der Messliturgie getan. Von daher ist die Wahl der unreformierten oder außerordentlichen Form des römischen Ritus, als einer auf dem Hintergrund einer jahrhundertealten Tradition organisch gewachsenen Ritusgestalt, ohne radikale Einbrüche oder Abbrüche, leicht zu begründen und zu legitimieren.
6. Konkrete Fragen zur Mitfeier
Vieles ist für den Neuling in der lateinischen Messe zunächst ungewohnt. Auch da gilt: Nur die Übung macht den Meister, verbunden mit der nötigen Liebe zur katholischen Tradition, aber auch mit einer gewissen Kultur und Wachheit der äußeren Sinne für das Heilige und Schöne.
Einige Wesenszüge, die zunächst fremd erscheinen:
a) Der römische Ritus atmet klassisches Maß und Nüchternheit, wie es der römischen Art entspricht, ohne schleppende Langsamkeit im Vollzug, ohne übertriebene Gestik oder Weihrauchschwaden, wie diese oft den orientalischen Riten eigen ist. Schauen wir uns nur die kurzen, prägnanten Orationen im römischen Ritus an: da gibt es keine ausladenden Wortschwaden, alles ist prägnante Kürze und auf das Wesentliche hin bezogener Lobpreis und Bitte.
Aber auch schwatzhafte Dauerberieselung wird man in diesem Ritus nicht finden, schon allein deswegen, da ja die wesentlichen Teile der hl. Messe in lateinischer Sprache gefeiert werden.
Erst ab dem achten Jahrhundert hat sich dieser römische Urbestand mit der germanischen Tradition verbunden, was sich in der Aufnahme der Gestik der kultischen Verehrung (Händefalten, Kniebeuge, Knien) ausdrückt. Während das Knien mancherorts ganz aus der Übung gekommen ist und meist durch das bequeme Sitzen ersetzt wurde, ist in der lateinischen Messe das Knien der Gläubigen ein “Markenzeichen”. Denn damit wird die Bezeugung der Ehrfrucht vor Gott und dem heiligen Geschehen am Altar sinnenfällig ausgedrückt. Die hl. Messe ist eben keine profane Gemeinschaftsfeier, sondern primär Akt der Gottesverehrung und erst so auch Quelle übernatürlicher und natürlicher Gemeinschaft.
b) Während der reformierte Ritus fast alle Gebete und Handlungen der Messe laut und deutlich in Zuwendung zur Gemeinde vollzieht, ist der klassische Ritus viel stiller, zurückgezogener und damit auch mystischer. Das ist wohl der am meisten merkbare Unterschied. Er will uns diskret in das göttliche Mysterium – das Geheimnis Gottes – hineinziehen. Deshalb sind viele Gebete leise und still, überhaupt ist die heilige Handlung, insbesondere durch die Zelebrationsrichtung nicht mit Blick auf die Gemeinde, viel diskreter, sie drängt sich den Augen und Ohren der Anwesenden weniger auf. Auch die aktive äußerliche Tätigkeit der Gemeinde tritt merkbar zurück: nur wenige Gebete betet der Priester gemeinsam mit der Gemeinde, oft betet er allein oder nur im Wechsel mit den Ministranten, als den Stellvertretern der Gemeinde. Der Priester wendet sich nur selten der Gemeinde zu, etwa bei den liturgischen Grüßen oder bei der Predigt. All das soll sinnenfällig machen, daß es bei der hl. Messe um ein heiliges Geschehen geht, das nicht wir Menschen einfach machen oder vollziehen, sondern in das wir gnadenhaft einbezogen werden, weil es das Tun des ewigen Hohenpriesters Jesus Christus ist: Durch die Kraft des Heiligen Geistes dürfen wir mit ihm, in ihm und durch ihn dem himmlischen Vater durch unsere sichtbare Liturgie Anbetung, Ehre und Lobpreis erweisen. Nicht um horizontale Gemeinschaftserfahrung um ihrer selbst willen geht es dem unreformierten Ritus, sondern um die Ausrichtung auf Gott, die die Teilnehmenden eint und zur heiligen Gemeinschaft formt.
c) Besonders fremd ist vielen auch die lateinische Kultsprache, die einmal mehr dartut, daß es in der heiligen Liturgie nicht primär und direkt um den Zweck der Unterweisung oder Unterhaltung des gläubigen Volkes geht.
Die lateinische Sprache ist ja nicht nur ein wichtiges Merkmal der abendländischen Kultur, sie ist auch Zeichen für die Einheit der Kirche über alle nationalen und sprachlichen Unterschiede hinweg und das Latein war Kennzeichen der römischen Liturgie bis zur Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanum, wobei der Norm nach das Latein auch nach der Liturgiereform gepflegt hätte werden sollen, was aber in der Praxis nur in Ausnahmefällen geschah.
Wenn man auch draußen in der Welt viele Sprachen spricht, so gibt es doch im Heiligtum nur eine Sprache, die allen Heimat gibt und alle im selben Glauben eint: das Latein der Liturgie. Sicher gibt es dabei untergeordnet auch einen gewissen Raum für die jeweiligen Landessprachen. Auch bei der lateinischen Messe wird etwa die Homilie seit jeher in der jeweiligen Landessprache gehalten. Bei der Form der im deutschsprachigen Raum schon ab den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts erlaubten Betsingmesse oder Gemeinschaftsmesse werden Lesung und Evangelium sofort in der Landessprache gebetet usw. Auch die deutschsprachig polyphonen Lieder können dort gesungen werden. Aber die Hauptsprache der Liturgie bleibt eben doch das Latein.
Als dem römischen Ritus bis heute eigene Kultsprache, dient das Latein dem Schutz des Heiligen. Latein ist wie ein heiliger Schleier, der gleich einer Ikonostase die göttlichen Mysterien schützend verhüllt. Latein erinnert daran, daß in der heiligen Messe etwas geschieht, was wir nicht verstehen können, was die Fassungskraft des menschlichen Verstandes übersteigt. Andererseits aber möchte das Latein vor der oberflächlichen rationalen Verständlichkeit in die Tiefe führen, denn es lädt dazu ein, durch eine tätige innere Teilnahme immer tiefer in das eucharistische Mysterium einzudringen. Genau dieselbe Zielsetzung hat auch die traditionelle Zelebrationsrichtung, die bis in die Barockzeit stets nach Osten ausgerichtet war bzw. wo kein Gegenüber zwischen dem Zelebranten und der Gemeinde entsteht. Dadurch soll ausgedrückt werden, daß sich die heilige Handlung an Gott richtet, ihm zur Ehre, nicht an die Gemeinde, der der Priester ein Schauspiel vorzeigt oder vormacht. Gleichzeitig soll sie als heilige Handlung den neugierigen Blicken der Menschen entzogen werden. Aber auch ein Miteinander von Zelebrant und Gemeinde wird dadurch ausgedrückt: das Miteinander des pilgernden Gottesvolkes, das in einer Blickrichtung Christus, dem Herrn, entgegenzieht.
d) Der alte Ritus will uns lehren, daß die heilige Handlung am Altar in sich selbst genügt und geheimnisvoll ist, weil sie das Werk Gottes ist. Wir müssen uns im äußerlichen und menschlichen Tun des Gottesdienstes zurückzunehmen, um so Gottes Wirken genügend Raum zu geben. Deshalb kennzeichnet die traditionelle Liturgie auch das Schweigen, insbesondere die sogenannte Kanonstille. Hier verstummt die Kreatur vor der unsäglichen Heiligkeit der unblutigen Darbringung des Opfers zu unserem Heil, die der ewige Hohepriester im heiligen Meßopfer vollzieht.
Dieses Zurücktreten des Menschen im Äußerlichen der unreformierten Liturgie bedeutet natürlich nicht, daß wir passiv und faul dahindösen oder mit den Gedanken ganz woanders sind. Gerade die mystische Ausrichtung fördert unsere innerliche Vereinigung im Gebet. Dazu müssen wir nicht unbedingt den genauen Wortlaut oder die Bedeutung der priesterlichen Gebete kennen und mitverfolgen, sondern wir sollen hingeführt werden zur Anbetung des Herzens, zur inneren Hingabe, zum Lobpreis.
e) Die äußere Haltung der Gläubigen in der hl. Messe wird in der lateinischen Messe – im Gegensatz zur reformierten Messe – nicht näher bestimmt, sie wurde einfach von Generation zu Generation als Brauch weitergegeben. Eine einheitliche Praxis der äußeren Haltung der Gemeinde ist wichtig und geboten, weil sie die kirchliche Einheit und Gemeinschaft ausdrückt und sinnenfällig macht. Viel Platz kommt in der traditionellen Meßliturgie, wie gesagt, dem Knien zu: Am Anfang zum Stufengebet, bei den Orationen, bei der Opferung, während des gesamten eucharistischen Hochgebetes (wenigstens aber zur Wandlung und nach der Wandlung), nach dem Vater Unser bis zur Kommunion, ab dem Schlußgebet bis zum Segen. Aber auch das Stehen und Sitzen hat natürlich seinen Platz.
f) Drei voneinander abgestufte Formen der hl. Messe werden bei uns gepflegt:
Zunächst die still gebetete Messe, wo meist Zelebrant und Ministrant, wenn vorhanden, still und abwechselnd beten. Dann die sogenannte Betsingmesse, die eigentlich ebenfalls eine, die Gemeinde aktiver einbeziehende, Stillmesse ist, also eine Vorform der reformierten Messe. In ihr betet der Priester manche Gebete abwechselnd mit der Gemeinde, Lesung und Evangelium werden gleich auf deutsch verlesen, die Gemeinde singt landessprachliche Lieder.
Die feierliche Vollform der römischen Messe ist allein das feierliche Amt, das eigentlich der Zelebrant mit der Assistenz des Diakons und des Subdiakons, aber auch mit einem Chor oder einer Schola, feiern sollte. Daneben gibt es auch das einfache Amt, das vom Zelebranten ohne Assistenz gefeiert werden kann. Hier nun singt der Zelebrant abwechselnd mit dem Chor oder der Gemeinde viele Teile der Messe.
Der eigentümliche Gesang der römischen Liturgie ist der Choralgesang, der aus dem jüdischen Tempelkult abgeleitet wurde. Er soll in einem gesunden Maß gepflegt werden. Anspruchsvoller Choralgesang ist in der Regel der Schola oder dem Chor vorbehalten. Der Gemeindegesang besitzt hier naturgemäße Grenzen, da der einstimmige Gesang ein hohes Maß an Können, Übung und Gesangsdisziplin voraussetzt, was in der Regel eine Überforderung darstellen wird. Aber eine Grundration des Choralgesangs ist wohl jeder Gemeinde zumutbar.
Allerdings hat der Choralgesang, anders als in den romanischen Ländern, gerade in Österreich seit jeher weniger Fuß gefasst und wurde schon früh durch polyphonen Gesang, dann aber auch durch das bei uns schon vor der Reformation heimische deutsche geistliche Lied ersetzt. Dieser Sondertradition ist Rechnung zu tragen, auch weil sie von der zuständigen kirchlichen Autorität niemals untersagt wurde, wenn auch gewisse Mißstände der polyphonen Praxis immer wieder verurteilt wurden. Zudem belegt sie, daß der römische Ritus wirklich “katholisch” ist und in der Lage, sich inkarnatorisch in die Verschiedenheit der Völker einzupflanzen, ohne das Wesentliche zu verlieren.
g) Neben dem Mitbeten im Schott, das unsere Aufmerksamkeit auch vom Geschehen am Altar abziehen und allzusehr auf das Buch hinlenken kann, also eigentlich schädlich für die Sammlung und Andacht ist, kann auch nur das gesammelte Schauen auf den Altar, genügen, vor allem am Anfang der Praxis der Mitfeier der alten Messe. Nach und nach wird man durch dieses einfache Schauen hineinkommen in den Rhythmus der Alten Messe. Verbunden mit diesem Schauen kann ein einfaches Jesus-Gebet sein, das immer wiederholt wird oder auch das Rosenkranzgebet, das die Aufmerksamkeit nicht auf das Gebet bindet. Auch das Beten einer Meßandacht zu den bestimmten Teilen der Messe kann durchaus hilfreicher sein als der gebannte Blick in den Schott. Hier muß jeder selbst herausfinden, was seiner Seele wirklich nützt.
Möge so die Pflege der Meßliturgie eine reiche Quelle der Glaubensbestärkung, der Freude am Katholisch-sein und der Verinnerlichung des Geheimnisses unserer Erlösung sein, damit wir die Kraft gewinnen, in unserem Leben treu zu sein.
Reinhard Knittel, 2009.